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Parution - Wortöffnungen : Zur Mehrsprachigkeit Paul Celans
Wie kaum ein anderer Schriftsteller fühlte sich Paul Celan existenziell mit der deutschen Sprache verbunden. Doch wie nur wenige Dichter vor ihm integrierte er zugleich eine Vielzahl anderer Sprachen in seine literarische Praxis. Welche fundamentale Bedeutung dieses Schreiben ›zwischen‹ den Sprachen besitzt, lässt sich aus Biographie, Werk und Poetik des deutsch-jüdischen Lyrikers ableiten. Dabei sind rund ein Dutzend Sprachen in Prozesse involviert, die sich mit den Begriffen ›Sprachwechsel‹, ›Sprachmischung‹ und ›Sprachreflexion‹ beschreiben lassen. In der vorliegenden Studie wird erstmals der Versuch unternommen, Celans Mehrsprachigkeit differenziert in ihrer gesamten Breite und Tiefe darzustellen. Dabei zeigt sich, dass die translinguale Schreibpraxis des Dichters den Kristallisationspunkt seiner distanziert-kritischen, ja aporetischen Beziehung zur deutschen Muttersprache bildet. Als Trägersprache der Judenvernichtung wird die deutsche Dichtungssprache in seinem Werk multilingual ›angereichert‹, verfremdet und dekonstruiert. Celans Mehrsprachigkeit führt somit zu einer Poetik der ›Wortöffnungen‹, deren Konturen es im Einzelnen her- auszuarbeiten gilt. Wortöffnung : ZurMehrsprachigkeit Paul Celans Tübingen Éditions Narr Franck Attempto À paraître le 16 décembre 2024 513 pages, ISBN 978-3-381-11981-3, 98,00 €. https://www.narr.de/wort%C3%B6ffnungen-1198-1/
Zusammenfassung:
Paul Celans prominente Selbstbeschreibung als einsprachiger Dichter und die markante Mehrsprachigkeit sowohl seiner Lebenswelt als auch seines literarischen Schaffens sind als zwei Seiten seiner Schriftstelleridentität untrennbar miteinander verbunden. In der Öffnung seines Schreibens auf sprachliche Diversität und Alterität bei gleichzeitigem Festhalten an der deutschen Muttersprache liegt eine der Hauptquellen des »schicksalhaft Einmaligen«, das er für seine Dichtung beanspruchte.
Wie kaum ein anderer Schriftsteller fühlte sich Celan auf existenzielle Weise an das Deutsche gebunden, andererseits griff er in seinem Schreiben wie selten ein Dichter vor ihm auf eine Vielzahl anderer Sprachen zurück. Seine Übersetzungen und Selbstübersetzungen, sein exophones Schreiben, das in vielen veröffentlichten und nachgelassenen Texten zu beobachtende Code-Switching sowie vielfältige sprachliche Inter- bzw. Transferenzen veranschaulichen eine für sein gesamtes Schaffen grundlegende Polyglossie.
Die Bedeutung von Celans Schreiben ›zwischen‹ den Sprachen lässt sich direkt aus seinem Werk herleiten und anhand vieler Textbeispiele sowohl poetologisch als auch linguistisch veranschaulichen. In unterschiedlichen Formen und auf verschiedenen Ebenen sind dabei über ein Dutzend Sprachen in Phänomene des Sprachwechsels, der Sprachmischung und der Sprachreflexion involviert.
Unter Rückgriff auf translatorische Verfahren, postdadaistische Schreibtech‐ niken und in Anlehnung an die jüdische Sprachmystik benutzt der Dichter Mehrsprachigkeit zur Erzeugung einer »Vielstelligkeit des Ausdrucks« mittels sprachlicher Superposition und translingualer Mehrfachcodierung. Auf diese Weise wird das Deutsche als Trägersprache der Judenvernichtung ›angereichert‹, verfremdet und dekonstruiert. Im Medium der Lyrik wird Celans multilinguale Schreibpraxis zum Ausdruck eines distanziert-kritischen, ja apo‐ retischen Verhältnisses zur Muttersprache.
Mit der vorliegenden Studie wird erstmals der Versuch unternommen, Paul Celans Mehrsprachigkeit in ihrer ganzen Breite und Tiefe darzustellen. Neben einer umfassenden Typologie der verschiedenen Schreibverfahren im Kontext seiner poetologischen Positionen – auf Basis zahlreicher Textbeispiele und Stellenkommentare – und einer exemplarischen Gesamtinterpretation des Ge‐ dichts »Huhediblu« wird an ausgewählten Beispielen dargestellt, wie Celans Poetik und Praxis der ›Wortöffnung‹ zu einem der prägenden Einflüsse einer translingualen Gegenwartsliteratur wurde.
Keywords: Paul Celan, Mehrsprachigkeit, Poetik, Übersetzung, Rezeption
Abstract:
Word Openings: On Paul Celan’s Multilingualism
Paul Celan’s self-portrayal as a monolingual poet and the profound multilingualism, embedded in both his life and literary practice, form an indissoluble tapestry of his identity as a writer. The act of opening up his writing to linguistic diversity and alterity, while steadfastly embracing his German mother tongue, stands as a pivotal source for the ‚fateful uniqueness‘ he attributed to his poetry.
Like hardly any other writer, Celan felt existentially tied to the German language, yet simultaneously, unlike few poets before him, he extensively drew upon a large variety of languages in his writing. His translations and self-translations, his exophonic writing, the code-switching observed in numerous published and posthumous texts, as well as diverse linguistic inter- and transferencies, vividly illustrate a foundational polyglossia throughout his entire oeuvre.
The significance of Celan’s writing »between« languages can be directly derived from his work and exemplified both poetically and linguistically through various examples. On different levels and in diverse forms, more than a dozen languages engage in the phenomena of language change, language mixing, and language reflection.
Leveraging translational methods, post-dadaist writing techniques, and drawing inspiration from Jewish language mysticism, Celan wielded multilingualism as a tool to create a ‚versatility of meaning‘ through linguistic layering and translingual mul‐ ticoding. In this way, German, as the language of Jewish extermination, undergoes a process of ‚enrichment,‘ foreignization, and deconstruction. Within the realm of poetry, Celan’s multilingual writing practice turns into the expression of a distanced and critical, even aporetic, relationship with his mother tongue.
This book attempts, for the first time, to present a nuanced and thorough exploration of Paul Celan’s multilingualism in all its facets. In addition to a comprehensive typology of various writing techniques in the context of his poetic positions – based on numerous text examples and annotations – and an exemplary overall interpretation of the poem ‚Huhediblu,‘ it reveals how Celan’s poetics and his practice of „word opening“ became seminal influences in shaping translingual contemporary literature.
Keywords: Paul Celan, Multilingualism, Poetics, Translation, Reception